Dieser Artikel entstand, nachdem ich nach über dreieinhalb Jahren meine erste Band Stars ’n Stripes, mit der ich Geld verdient, und meine Freunde, die ich dabei gewonnen habe, verlassen habe. Ein paar Wochen nach meiner Diplomarbeit schienen die knapp 5000 Wörter schnell geschrieben – vor allem im Vergleich dazu, wie lange die 20000 der Diplomarbeit gebraucht hatten. Immer wieder, wenn ich das lese, erinnere ich mich an die schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten, und wie ich mich dabei persönlich und musikalisch entwickelt habe. Aus rechtlichen Gründen und um meine Geldtasche zu schonen, möchte ich anmerken, dass manche Namen abgeändert worden sind.
Have Fun!
the fischi chronicles
Stufe 1 – Bereite Dich Vor
Am meisten Vorbereitung kosten mich immer meine spontan gehaltenen, improvisierten Reden.
(Winston Churchill)
Das sind die Stripes
„Ich hole dich in 5 Minuten ab!“
Der Telefonhörer ist erbarmungslos, wenn man erst nachdem er aktiv ist aufwacht.
„Eigentlich wollte ich gerade … ach so, Auftritt? Genau. Bin sofort bereit.“
Walter steht schon vor der Türe, während ich mich in meine weiße Jacke zwänge, und meine Schwester mir hilft, das Equipment in das Auto zu laden. Der Stempel an meiner Hand verrät mich. Ich bin nicht einfach nur müde.
„Und alles klar Fischi?“
Klar. Ich bin Fischi. Alles klar.
„Ja. Ich war gestern aus.“
„Und, wie war der Masterplan?“
„Mission Accomplished. Wo geht’s heute hin?“
Die Antwort bekomme ich nicht mehr mit. Zu sehr nagt die letzte Nacht an meinen Augen. Ich blinzle zu Walter.
„Ich habe deine Rechnungen mit. Dafür kümmerst du dich um die Getränke. Apropos, hast du dir schon einmal überlegt, wie weit ein Seil, das um den Äquator gespannt ist, von der Erde entfernt ist, wenn es um einen Meter länger gemacht wird?“
Das Leben kehrt in mich zurück. Damit das übliche: Ernste Fragen, irrwitzige Geschichten, und unglaubliche Berichte. Die Fahrt kann beginnen.
Nach ein paar Minuten steigt Alex zu uns ein. Mittlerweile bin ich in Auftrittsstimmung. Außer meinen Haaren. Die benötigen noch eine Sonderbehandlung vor dem Anpfiff der Show. Wir müssen zum DM, Haarwachs kaufen. Günthi benötigt sowieso noch ein paar Minuten bis er den Traktor, dem er seit einer halben Stunde hinterher fährt, überholt hat, und zu uns auf die Ötztaler Höhe kommt. Walter nimmt roten Waldbeerensaft, Alex ein Red Bull, und ich das komplette Schwarzkopf Sortiment.
Inzwischen sind alle da. Ich hätte fast Günthi übersehen. Doch Sandy’s Lacher und die Diskussion mit Christian, ob im Zimmer fern gesehen werden darf, waren nicht zu überhören. Ich freue mich darauf.
Zwei Stunden später treffen wir die Techniker im Montfortsaal. Sie mögen meine sauren Haribos.
Nach den intelligenten Gesprächen der Hinfahrt ist es nun an der Zeit, der versammelten Truppe die neuesten Ereignisse aufzubereiten. Jeder hat etwas beizutragen, um das Niveau zu senken, und den Spaß zu steigern. Das mögen die Kellnerinnen.
Ich verabschiede mich, um meinen Haaren den letzten (in diesem Fall auch den ersten) Schliff zu verpassen. Kurze Zeit später leuchten sie in allen möglichen Farben auf, wenn der erste Ton aus den Boxen klingt und der Auftritt beginnt. Das mögen die Leute.
Das ist Fischi
Eigentlich bin ich schüchtern.
Ich war früher immer der Meinung, dass eigentlich alle Leute wissen müssten, wie gut ich bin. Deswegen habe ich im ersten Jahr in der Volksschule keine Hausübung machen wollen, weil die Lehrerin doch genau gewusst hat, dass ich das sowieso kann.
Auch im Gymnasium war es so.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass es auch andere Leute gibt. Mädchen. Aber die waren alle selbst zu schüchtern, einen Typen, der alles kann, an zureden.
Mir ist dann bewusst geworden, dass es vielleicht nicht an den Mädchen liegt, sondern an mir.
Neben meinen Hobbys, Fußball und Musik, vernachlässigte ich meine dritte Leidenschaft, das Computerspielen, immer mehr, um mit meinen Kollegen in einer Band zu singen. Ja singen. Das habe ich versucht. Ich dachte, dass die Mädchen das mögen werden. Und dass wir die besten waren. Aber die Welt war nicht bereit für unseren Sound.
Oder wir waren nicht gut. Ich bin mir sicher, dass der erste Punkt der Grund für das Scheitern unserer Band war. Jedenfalls fing ich dadurch an, Bass zu spielen. In einer Coverband. Hochverrat an der Ehre eines Hardrockers. Danach fielen die Haare wegen dem Bundesheer, und bald spielte ich Sweet Home Alabama.
Nach einem Jahr Mathematik an der Uni, und einigen Auftritten mit meiner alten Band Tube Groove, war es an der Zeit, etwas anderes zu machen. Ich stieg im Studium um, und begann, viel zu üben. Meine Hand war kaputt. Doch ausgehen ging trotzdem. Sehr gut. Ich machte mir keine weiteren Gedanken, bis ich an einem Novemberabend nach einem Christkindlmarkttreffen an der Bushaltestelle stand, und mein Handy klingelte.
Stufe 2 – Ankunft und Aufbau
Man muss anderes Glück aufbauen, um selbst glücklich zu sein.
(Raoul Follereau)
„Christine“
Oh, das waren zwei Glühwein zu viel. Noch mal genau auf das Display geschaut.
„Christian“
Ah, ok. Der Christian hat uns bei Tube Groove einmal ausgeholfen.
„Hi Thomas! Du, hast du Stress?“
„Nein. Ich bin Student.“
„Wir brauchen einen Bassisten bei den Stars and Stripes.“
„Ok. Und da kann ich helfen?“
Ich bin betrunken, und spiele erst seit zwei Jahren Bass. Klingt in meinem Kopf gerade unglaubwürdig.
„Ja. Komm zum Vorspielen.“
„Cool, passt. Ruf mich morgen bitte nochmal an.“
Es ist kalt. Ich warte vor dem Lager der Firma Hosch, dem Proberaum der Band Stars and Stripes. Meine Hand ist kaputt. Sehnenscheiden. Was solls.
Zehn Minuten später kommt eine kleine Gestalt an. Ich kenne hier niemanden. Er kommt zu mir, schaut mich durch den oberen Rand seiner Brille an und stellt sich vor. Günther. Alles klar. Den nächsten Satz verstehe ich nicht, Günther ist beschäftigt, im Schnee einen Schlüssel zu suchen. Er krabbelt ein wenig herum, und ein paar Fetzen ötztalerisch kommen durch den hochgezogen wirkenden Kragen seiner Jacke hindurch: „Wenn mich so jemand sieht…“
Günther ist anscheinend sehr sensibel mit seinem Erscheinungsbild. Wir sitzen auf einer Couch, und besprechen die Details. Sehr korrektes, ein wenig zerstreutes Auftreten. Wahrscheinlich ist er nervös, wie die Übergabe des Bassistenjobs funktionieren wird. Immerhin war Ingo groß, etabliert, und hatte immer einen flotten Spruch parat. Ich – normal, unauffällig und schüchtern und neu.
Die anderen Bandmitglieder kommen. Christian kenne ich bereits. Alex, von dem hat mir mein Vater erzählt. Und mit seinem Vater zusammen gespielt. Eine hübsche Frau kommt. Ich freue mich. Stellt sich als Stefania vor, die bald nicht mehr dabei sein wird. Blöd gelaufen.
Ich gehe auf das Klo, und höre, wie die Band anfängt zu proben. Ich kann ja nicht, wegen meiner Hand. Eine Wahnsinnsstimme singt The Best von Tina Turner. Schade dass Stefania nicht länger dabei ist. Auf dem Weg zurück von meinem notwendigen Bedürfnis erkenne ich, dass diese Powerstimme tief in der neuen Sängerin Renate versteckt war.
Zwei weitere Leute waren hinzugestoßen. Willi, der Tontechniker, spielt Bass, und ein älterer Herr in einem Jogginganzug und mit einer schlagerweißen Johnson-Gitarre sitzt am Tisch und stimmte dieselbe. Ich erkenne erst später, dass sich seine Hände, Arme und Beine bewegen, als er aufsteht, und sich ein Bier holt. Ich erkenne noch ein bisschen später, dass er sprechen kann und sich als Walter vorstellt. Und ich werde noch viel später erkennen, dass er einer meiner besten Freunde werden wird, und im Gegensatz zu seinem Erscheinungsbild unglaublich lustig ist.
Ich spiele auch ein Lied. Das hätte ich aber besser nicht gemacht. Underneath your Clothes hätte es sein sollen. Doch es war Jazz. In Reinkultur.
Nach dieser blamablen Vorstellung sah ich mein Engagement dahin schwinden, und fuhr nach hause. Nächster Tag – Glühkindlmarkt.
Wieder läutet mein Telefon.
„Christine“
Oh, das waren zwei Glühwein zu viel. Noch mal genau auf das Display geschaut.
„Christian“
Ah, ok. Der Christian hat uns bei Tube Groove einmal ausgeholfen.
„Hi Thomas! Du, hast du Stress?“
„Nein. Ich bin Student.“
„Ich weiß, hast du mir letzte Woche schon gesagt. Hat dich der Günther angerufen?“
„Nein. Er hat mich ja spielen gehört.“
Am Handy klopft es an.
„Ok, in dem Fall noch einen schönen Abend!“
„Danke, dir auch.“
+436…. Kenne ich nicht.
„Thomas Fischer live vom Christkindlmarkt!“
„Hallo, da ist der Günthi. Du bist dabei.“
Strike.
„Super!“
„Rede dich mit dem Christian zusammen wegen den Liedern.“
Ich darf nicht üben. Ich darf 80 Songs nicht üben.
Es bleiben noch zwei Wochen Zeit, in denen ich darf. Das muss reichen. In diesen zwei Wochen wird geprobt. Und die neuen Mitglieder fahren zu einem Auftritt in der Schweiz mit. Dort wird es die ersten Highlights meiner Karriere bei den Stars and Stripes geben.
Stufe 3 – Komme in Stimmung
Die Musik gibt Stimmungen und Situationen über alles greifbare und sichtbare Dasein hinaus und lässt uns wach träumen.
(Berthold Auerbach)
Stefanstanz, Schongau. Wahnsinn. Auf so einer großen Anlage habe ich noch nie gespielt. Viel wichtiger – alles ist bereits vorbereitet!
Ich staune nicht schlecht, und bestelle einen Weiß sauer.
Renate sitzt mit mir am Tisch, wir trinken und hören uns die Band an. Irgendwann kommen zwei Mädchen, und meinen sie kennen mich. Es hat sich schon gelohnt zur Band zu gehen, selbst ohne dass ich spiele sprechen mich zum ersten Mal Mädchen an.
„Du warst im Fernsehen!“
„Nein.“
„Magst du trotzdem etwas mit uns trinken?“
Das Leben geht immer weiter bergauf. Strike.
Gegen Ende des Gigs stimmt Ingo den Bass. Und drückt ihn mir in die Hand. Wow. Es geht nicht gut, aber es geht. Und den Mädchen gefällt es.
Bei meinem ersten offiziellen Auftritt trage ich einen Anzug, und darunter mein Italien-Trikot. Ich bin nervös, mein Equipment funktioniert nicht auf Anhieb, und wir haben noch nicht alle Lieder geprobt.
Beim ersten Ton erwartet mich eine volle Dogana. Das macht Spaß. Pretty Woman ist schnell vorbei, alles gut gegangen. Ich nehme einen Schluck Mineralwasser, und mir fällt die Flasche aus der Hand. Ich bin erschrocken, Alex beginnt bereits, das nächste Lied einzuzählen. Darauf war ich nicht gefasst. Ratzfatz geht es weiter.
Trotz kleiner Eingewöhnungsschwierigkeiten und meiner neuen Angstnummer, Leuchtturm, passt der Auftritt im Großen und Ganzen. Ich bin erleichtert, und kurz nach dem letzten Lied bemerke ich, dass vor Walters Platz rechts vorne ein Mädchen wartet. In meiner Euphorie spreche ich sie an. Sie ist nett. Und hübsch. Ich bekomme die Telefonnummer, und höre eine Stimme in meinem Ohr:
„Thomas, das wird ein böses Ende mit dir nehmen!“
Walters mahnende Worte bleiben in meinem Kopf. Ich lache, er lacht. Falls das erst der Anfang ist, habe ich kein Problem damit, wenn die Aktionen extremer werden. Doch die Worte bleiben.
Stufe 4 – Rock It
Die Ektasen, die wirklich gute Rockmusik auslösen kann, haben mich immer mit Neid und Bewunderung erfüllt.
(Hermann Nitsch)
„Servus Fischi!“
Ein ehemaliger Schulkollege begrüßt mich bei einem Auftritt. Ab jetzt heiße ich auch in der Band Fischi. So wie überall. Aber man stellt sich nicht mit seinem Spitznamen vor. Der kommt von alleine. So wie bei Christian, dem Asphaltcowboy, oder Günther, der Geisel Gottes.
Ich habe mich mittlerweile eingelebt. Ein paar kleine Veränderungen an meiner Einstellung kann ich auch schon bemerken. Es gab einen Auftritt, bei dem ich mich danach nicht getraut habe, zu den Mädchen, die vor der Bühne auf mich gewartet haben, hinzugehen und mit ihnen zu reden. An diesem besagten Abend musste jedoch das erste mal ein männliches Bandmitglied mit der Sängerin das Zimmer teilen. Armer Günthi.
Ich traue mich jetzt aber, mit den Leuten zu reden. Ich habe zumindest das erreicht, was ich mit 16 schon haben wollte, und zwar dass Leute zu mir auf die Bühne schauen und mit mir reden möchten. Zufrieden bin ich noch nicht. Die Erkenntnis, dass diese Anerkennung nicht in extremen Ausmaß nötig ist, wird erst später kommen, wenn es bereits zu spät sein wird.
Die Band ist zusammengespielt. Die Show entwickelt sich, und wir sind auf dem besten Weg. Ich darf sogar singen. Die vielen Gigs zeigen sich in meiner Geldtasche, und in dem Moment, in dem ich meine Geldtasche öffne. Die Blasen an den Fingern sind nicht zu übersehen.
Stufe 5 – Verstärke die Energie
Es ist der Charakter des Bösen, daß es immer mit Energie anfängt und mit Schwäche aufhört.
(Franz von Bader)
Nachdem mein eigenes Bassspiel nun keine primäre Aufmerksamkeit mehr benötigt, da die Songs sitzen, kann ich mich auf der Bühne um die Show und die Fans kümmern.
Diese Veränderung zeigt sich nicht nur im Verhalten der Fans, sondern auch im Verhalten von Familienmitgliedern der Sängerin. Ihr Vater beschuldigt mich, Drogen zu nehmen, weil ich einen größeren Aktionsradius in Anspruch nehme als Renate Grundfläche besitzt. Ich bin nach jedem Auftritt außer Atem.
Der Übermut, der durch die neue Situation in mir aufkommt, führt auch zu einem weiteren Höhepunkt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Bar befindet sich genau neben mir. Besser gesagt, schräg unten neben mir. Die Bühne ist mindestens zwei Meter hoch. Es ist mein Glück, dass sie nicht noch einen Meter höher ist, denn in diesem Fall hätten die Barleute mir meinen Weiß sauer nicht mehr reichen können.
Doch es geht. Schnell. Irgendwann ist es aber soweit, dass ich einen ziemlichen Druck auf meiner Blase spüre. Das Set ist halb vorbei. Der Druck steigt. Das Set ist halb vorbei. Der Druck steigt. Das Set ist zu einem Drittel vorbei. Der Druck ist unerträglich.
In einem bemitleidenswerten Zustand stehe ich so still wie möglich auf der Bühne. In meinem In-Ear System höre ich plötzlich das Intro von Hey Jude. Das ist meine Chance, ich gehe hinter die Bühne, um mich zu erleichtern. Der Druck ist unerträglich minus eins. Das tut gut. Der Druck nimmt langsamer ab, als Günthi zum aufbauen seiner Instrumente braucht, aber es fühlt sich besser an.
Der Basseinsatz kommt näher und näher, und ich bin halb fertig. Ich stehe hinter der Bühne, höre die Band und halte mir die Hose fest, um mein Geschäft zu verrichten. Stress – ich muss in fünf Sekunden spielen. Durch einen Geistesblitz kommt mir die Idee, nur mit der linken Hand zu spielen. Das geht. ‚Fischi, du bist genial. Oder auch nicht, wenn man bedenkt wie lange du gebraucht habe um darauf zu kommen. Apropos. Vielleicht überlegst du dir, wie du mit der Hose bei den Knöcheln unten wieder auf die Bühne gehen kannst?‘ Mein Gewissen. Fein, dass es alles kommentiert was ich mache.
Ich gehe die zwei Meter Stiegenkletterwand wieder zurück auf die Bühne, Bass spielend und mit ganz kleinen Schritten. So fühlt sich ein Gefangener. Hinter Walters Verstärkerwand wartend spiele ich die Nummer fertig bevor ich mich wieder anziehe.
Den Leuten hat es gefallen. Gertrud fährt mit mir nach hause.
Die Band ist eingespielt. Wir haben wirklich viel Spaß, und stellen jeden möglichen Blödsinn an. Walter und ich bauen uns Lichter auf unsere Gitarren. Ich stürze beim Versuch, zurück auf die Bühne zu springen, nachdem ich bei den Fans war, um mit ihnen zu singen und zu tanzen. Renate erzählt uns Geschichten über 7 Promille Alkohol im Blut, und Kinder, denen zwei Esslöffel Salz verabreicht werden. Sie bekommt den Spitznamen ‚Gestiefelter Kater‘. Das Leben ist schön.
Stufe 6 – Schaffe die Verbindung zum Publikum
Das Publikum will gekitzelt werden und nicht gekniffen.
(Wolfgang Brochert)
Die Shows werden immer ausgefallener und lustiger. Wir essen Pfefferoni, ich beseitige mit einem Salzstreuer das Eis auf der Bühne, tanze mit Schülern bei der Mitternachtseinlage, Sandy und Martina springen kurzfristig als Sängerinnen ein. Für die Fußballweltmeisterschaft nehme ich beim Jubiläumszeltfest einen Fernseher mit auf die Bühne, um das Eröffnungsspiel der englischen Nationalmannschaft anschauen zu können. Wir präsentieren Renate ein gemeines Intro, in dem sie auf die Schippe genommen wird. Das mögen die Leute.
Die Fahrt nach Pratteln ist wohl die meistbesprochenste meiner Stars and Stripes Karriere. Die Hinfahrt glänzt mit Highlights aus einem Hochglanzmagazin, der Auftritt selbst wird von Guggenmusigen begleitet, und nach dem Gig.. Ja nach dem Gig..
Ich bin fertig. Ich habe zu viel getrunken. Immerhin muss ich mir keinen Vorwurf machen, ich bin der zweitnüchternste. Nur Walter, der immer schlafen gegangen ist, hat weniger intus als ich. Wenigstens ist das Hotel nur 400 Meter entfernt. Mein Verstärker ist schnell zusammen geräumt, und ich schnappe zwei Cola Rum, um Alex etwas zu trinken zu bringen. Auf dem langen Weg zu Schlagzeug schau ich mich um. Günthi sortiert seine Kabel. Walter ist schon fertig. Renate telefoniert nach hause. Alex sucht seine Becken. Sie sind auf den Ständern. Christian nimmt sein Keyboard, um es zu verräumen. Hält es in der Hand, geht einen Schritt zur Seite, wo das Case steht. Doch anstelle des Keyboards stellt er seinen Nike-Sneaker in das wie ein Skateboard mit Rollen bestückte Unterteil der Transportkiste. Wie auf einer Bananenschale ausgerutscht, sehe ich für einen kurzen Moment seine Füße in der Höhe seines Kopfes. Als Chris bemerkt, dass er nicht mehr steht, fällt er natürlich auf den Boden – das Case zehn Meter weg geschossen, und das Keyboard in der Hand. Zum Glück hat es keinen Kratzer abbekommen.
Alex ist von dieser Aktion sichtlich inspiriert, als er im Aftershowpartyzelt nach einem Tanz mit einer jungen Dame umfällt und am Rücken liegen bleibt. In Momenten wie diesen muss man den Schildkröten dankbar sein, die erfunden haben, wie man auf dem Rücken liegend wieder in eine gehbare Position kommt. Leider wird Alex erst am nächsten Tag lesen, wie dies gegangen wäre, und so helfe ich ihm auf die Beine, um Platz zu schaffen, den Christian benötigt, um sich eine Zigarette anzuzünden. Zum Glück besitzt das Zelt Wände, ansonsten würde er dabei einmal um die ganze Welt torkeln.
Endlich auf dem Heimweg, mit mehreren im Zelt vergessenen Gegenständen, erinnert sich Chris daran, dass er noch nicht joggen war. Deshalb läuft er, mitten im Winter, mitten in der Nacht, mitten in der Pampa, auf und davon. Überzeugt, ihn bald wieder zurückkommen zu sehen, gehen Alex, Renate und ich zurück zum Hotel. Auf halbem Weg ist immer noch nichts von Chris zu sehen, und trotz der Ängste der Sängerin lassen wir diese alleine die fünfzig Meter zum Hotel gehen, während wir vergebens nach unserem Keyboarder suchen.
Wir finden ihn nicht. Doch er findet uns. Am nächsten Tag in der früh steht Chris in der Zimmertür. Wie er in das Hotel gekommen ist, ohne sein Handy, in dem der Zahlencode für das Türschloss abgespeichert war, wird der Menschheit länger ein Rätsel bleiben, als der Bau der Pyramiden. Der Matsch auf der Hose kommt auf jeden Fall nicht aus Ägypten, und so sind diese beiden Phänomene komplett unabhängig zueinander.
In Pratteln war Lea. Ein nettes Mädchen, das auch mit ihrer Freundin geschmust hat.
Lisi war eine Weile aktuell, Elisabeth in Sattel, Laudl, Sabrina und andere beim Ex-Ball, Kellnerinnen zu Silvester, Wo-ist-Maggy, Caipirinha-Vera und Chrissy. Es gibt viele, deren Namen ich nicht mehr weiß. Es gibt viele, die in unser Gästebuch, das Fischibuch, schreiben.

Es sieht so aus, als ob ich mein Ziel erreicht habe. Es sieht so aus. Und es gibt die Möglichkeiten. Doch es läuft nichts. Eigentlich bin ich allein. Das sehe aber nur ich.
In den Augen von anderen lebe ich das Leben, das sich viele zu leben wünschen. Um dieses Leben, das andere sehen, zu leben, habe ich begonnen, in Bands zu spielen. Es ist aber anders.
Ich genieße es, als ‚cooler Typ‘ gesehen zu werden, von Frauen und Männern. Doch dann kommt crazy-resi ins Spiel.
Stufe 7 – Lass dich wirken
Don’t hate the player, hate the game.
(Neil Strauss)
I’m loving Angels instead.
Das Image eines Ladies-Man muss gepflegt werden. Das macht Spaß. Mir zum Erzählen, den anderen zum Zuhören. Die Partygeschichten aus der WG, die ich mit zwei Studienkollegen führe, die FHM-WG, erreichen Kultstatus.
Die einfachste Möglichkeit, etwas vorzutäuschen, ist wenn man ehrlich ist. Und die unpassenden Momente nicht erzählt.
Die Band läuft gut. Wir haben Spaß auf der Bühne, das Publikum hat Spaß mit uns, und wir haben auch bei den Proben Spaß.
Ich selbst laufe auch gut. Ich bin nun soweit, selbst das Wort zu ergreifen und meine Meinung kundzutun. Schüchtern war gestern. Dies bemerke ich an einem Abend in Christians Garten, nach einer Probe, als einige Punkte zur Sprache kommen. Ich bin wieder ein Stufe höher. Mein Wort hat Gewicht.
Mit der Erwartung des Publikums, und der Erwartung der Musiker steigt auch die Erwartung und der Druck, den ich mir selber aufbaue. Es wird immer schwerer, Leistungen zu toppen. Doch das Spiel läuft, und ich genieße es.
Die Seifenblase zerplatzt an einem Abend im Juni, ich stehe vor der Tür eines Studentenwohnheims in Innsbruck, mit crazy-resi.
„Es tut mir Leid. Ich glaube nicht, dass das mit uns etwas bringt. Außerdem habe ich gehört, dass du ein typischer Musiker bist, so mit den Mädchen und so.“
Zack.
Das sitzt.
Jede Medaille hat zwei Seiten. Jetzt kenne ich die Kehrseite von meiner eigenen. Ich bin verliebt. Und mein Image verbaut mir die Chance, damit glücklich zu werden. Ein Image, das ich selbst nicht einmal auslebe.
Zum Glück gibt es die Band. Ich lenke mich ab, und bekomme Ratschläge. Ich beschließe für mich, jetzt wenigstens so zu leben, wie andere mich sehen.
Als Rache an der Person, die mich angeschwärzt hat, entsteht der Masterplan. Clemens fragt mich, ob ich in seiner Band aushelfen kann.
Danke, aber nein danke.
‚Warte Thomas. An dem Abend, an dem du crazy-resi kennen gelernt hast, spielte Clemens mit seiner Band. Da ist eine blonde Sängerin. Das wäre doch etwas!‘
Danke, Gewissen. Anti-Gewissen.
Ich erzähle Alex im vorhinein, wie ich plane, die Sängerin genau am Auftrittsabend herumzubekommen.
Ein paar Wochen darauf, bei einem Maturaball in Feldkirch, haben wir keine Lust, die Mitternachtseinlage anzuschauen. Walter gratuliert mir. Alex fragt was los ist, und in der nächsten Sekunde erinnert er sich: „Masterplan!“
Mission accomplished. Renate ist aufgebracht.
„Du bist so gemein!“
„Andere sind auch gemein!“
„Aber nicht so berechnend!“
Stimmt. Das letzte mal war sie so böse, als wir über ein rotes Kleid gelacht haben, das einer Schülerin, die schon gegessen hatte, angezogen gewesen war.
Es ist mir egal was sie denkt.
Ich bin nicht gut drauf. Eigentlich nervt sie mich. Schon lange.
Die einzige Zeit in den fast vier Jahren Stars and Stripes, in der ich überlege aufzuhören, ist jetzt. Doch das Gespräch mit Walter, der mich nach jedem Auftritt nach Hause bringt, überzeugt mich, nicht aufzugeben. Ich mag Musik, ich mag das Publikum, ich mag die Bandkollegen.
Das andere Problem sollte sich sowieso bald von alleine lösen.
Stufe 8 – Übertreibe ein wenig
Alleinsein schafft Übermut.
(Friedrich Wilhelm Nietzsche)
Wir machen auch Musik. In ganz besonderem Maße machen wir jedoch Spaß. Deswegen sind wir eine gute Gemeinschaft. Besonders mit Sandy als neuer Sängerin.
Noch vor dieser Verbesserung gibt es jedoch weitere Highlights, an die wir uns gerne erinnern.
„Ietz wocht. Hosch du an Zeichner?“ (Jetzt warte mal, Hast du einen Zehner?)
Dieser Spruch brennt sich in unser Unterbewusstsein. Ich versuche oft genug, ihn mit Bier oder Weiß sauer zu löschen, doch der kleine Günthi bleibt vorhanden.
„Ietz wocht. Hosch du an Zeichner?“
„Nein Günthi.“
„Ietz wocht. Hosch du an Zeichner?“
„Nein Günthi, ich auch nicht.“
„Was tua i den jetzan? Hosch nit decht an Zeichner?“
Ich habe gerade 10 Red Bull intus, und mein Red Puls schlägt ziemlich aus. Die Menge an Koffein mache ich dafür weniger verantwortlich als die Heimfahrt in der Nacht, in der mein Schlaf gestört wird. Doch vielleicht ist es doch…
„Ietz wocht. Hosch du an Zeichner?“
Nein. Definitiv nicht das Red Bull.
Nach dem Versuch, dieses traumatische Erlebnis mit Alkohol aus meinem Gedächtnis zu eliminieren, versuche ich es ohne. Zu Silvester. Mit Auto. Mit 38 Kaffee. Es nützt nichts.
Dieser Spruch befällt nur die MusikerInnen. Ansonsten würde Günthi’s Gitarre auch „Ietz wocht!“ rufen, alleine in der Ecke des Montforthauses stehend, während sich unsere Rücklichter immer weiter entfernen. Immer weiter Richtung Unterkunft.
„Ietz wocht. Hosch du die Fernbedienung?“
Chris ahnt schlimmes. Zurecht. Günthi findet sie. Die Börsenkurse sind schnell recherchiert, jetzt geht es nur noch darum, den idealen Sender zum Einschlafen zu finden. Auf voller Lautstärke, versteht sich von selbst.
„So a Schaß“
„Es läuft überall das Selbe!“
„Ietz wocht. I find schu no was!“
Ich schlafe schnell. Günthi auch. Christian nicht. Wahrscheinlich denkt er noch nach, ob das wirklich funktioniert hat, dass sich einer von uns als Sexualtherapeut ausgegeben hat, um mit einer Frau zu reden.
Ein paar Tage später weiß ich, dass ich mich auf die Welt nicht mehr verlassen kann. Nach dem Auftritt dreht sie sich einfach nach hinten von mir weg. Ich liege in den Stühlen. Nur Walter sieht diese bodenlose Frechheit.
Nach dem nächsten Caipirinhaauftritt ist Buße angesagt. Südtirol. Günthi bekommt vom Bischof einen Text zu sprechen: „Heute schon geglaubt?“ Das ist Buße genug. Ich hole uns etwas zu trinken, doch der erste Schluck will nicht gelingen. Nach genauerer Untersuchung der Etikette erkennen wir den Grund. Unser Bier ist kein Bier, sondern ein alkoholfreier Multivitaminradler.
„Heute schon geglaubt?“
Dabei geschieht es mir recht. Unlängst versuchten meine Bandkollegen, mich in der Früh mit einer Kuhglocke, die im Zimmer aufzufinden war, zu wecken. Ohne Erfolg. Nur weil Sandy und ich am Tag zuvor auf der Tanzfläche gelegen sind.
Unsere darauf folgenden Abenteuer lassen nicht lange auf sich warten. Nach einer Grenzkontrolle muss unser halbes Equipment in Österreich bleiben. Also basteln wir uns unsere Mikrofonständer selbst, aus Palmen und Gaffa. Christian berechnet als Statiker alle Konstruktionen genau, um keine Unfälle zu riskieren. Für Dani’s ersten Auftritt als Substitute von Sandy proben wir extra. Mit Ramazotti. Mit viel Ramazotti. Dafür bin ich beim Auftritt selbst nüchtern. Mir ist schlecht.
Der Rene Aufhauser Preis wird verliehen. So groß herausgekommen bin ich noch nicht, dass ich diese zweifelhafte Auszeichnung, die der ‚lustigsten‘ Person des Abends gebührt, in meinen Trophäenschrank hängen darf. Ich muss mich mit dem Manfred Zsak Preis begnügen.
Für diese Unterschätzung bestrafe ich meine Bandkollegen und das Publikum durch den Einsatz meiner Fuzz Factory. Lärm auf Fischi-Niveau. Das rockt. Ich bin aufgedreht, und der Jahrhundertspruch ist über die Saalanlage beim Maturaball zu hören. Nur der Damenwal hat es nicht gehört.
Wir haben Spaß. Viel Spaß. Doch dieser Spaß hat leider bald ein Ende.
Stufe 9 – Erwarte Nichts – Gib Alles
Nichts schmerzt so sehr wie fehlgeschlagene Erwartungen, aber gewiß wird auch durch nichts ein zum Nachdenken fähiger Geist so lebhaft wie durch sie erweckt.
(Benjamin Franklin)
Genau zum letzten Maturaball komme ich später. Sledgehammer dröhnt aus den Autoboxen, lauter, als die 4500 Umdrehungen des Dieselmotors. Ich bin total abgehoben. In Innsbruck war ein Talent Day, bei dem ich ein Jobangebot für den Herbst bekommen habe. Ein gutes. Das muss ich jetzt den anderen beibringen. Dass ich das Angebot im Endeffekt doch ablehnen werde, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.
Die Suche nach einem neuen Bassisten ist schwer, aber erfolgreich. Zuerst möchte ich jemanden suchen, der den MusikerInnen gleich auf die Nerven gehen kann wie ich. Das ist zu schwer. Dann suchen wir eben jemanden, der besser Bass spielen kann als ich, und Dominik wird als Nachfolger engagiert. Ich wünsche allen zusammen viel Erfolg und Spaß in dieser Besetzung!
Die letzte Zeit in der Band verläuft super. Wir proben ein wenig, und die Auftritte laufen gut. Für uns. Der einzige Wehmutstropfen ist, dass England nicht bei der EM dabei ist. Stattdessen lerne ich Kartentricks, führe Psychologiespielchen vor und wir gehen zusammen aus. Nicht zu wenig.
Meine Entscheidung, die Band im Herbst 08 nach fast vier Jahren zu verlassen, steht noch immer. Allerdings werde ich nicht wie geplant 60 Stunden pro Woche in der Unternehmensberatung arbeiten, sondern hauptberuflich Musiker werden.
Trotz der Situation, dass die Band in dieser Besetzung bald nicht mehr auf die Bühne gehen wird, gibt es fantastische Feedbacks. Eine funktionierende Gemeinschaft ist der Grundstein für eine erfolgreiche Show. Diese liefern wir. Jedes mal.
Stufe 10 – Cool Down
Heads are wisest when they are cool, and hearts are strongest when they beat in response to noble ideals.
(Ralph Johnson Bunche)
Zum Abschied gibt es noch richtige Highlights. Ein Video nach einem Gig, das am Gipfel des Hügels gedreht wird, bringt Unterhaltung in das Bandgrillen. Dieser Abend ist sensationell. Mir wird bewusst, dass mir diese Gemeinschaft fehlen wird. Die Freundschaft, die sich über die letzten Jahre entwickelt hat, das blinde Verständnis auf der Bühne, die verrückten Gespräche, die tiefen Schmähs, und die wichtigen ernsthafte Gespräche auf der Heimfahrt. Alles.
„Ietzt wocht. Wir sind ja nicht aus der Welt!“
Stimmt. Wir sehen uns wieder.
Das Handy klingelt wieder.
„Christine“
Oh, das waren zwei Glühwein zu viel. Noch mal genau auf das Display geschaut.
„Christian“
Ah, ok. Der Christian hat uns bei Tube Groove einmal ausgeholfen.
„Hi Fischi! Du, hast du Stress?“
„Nein. Ich bin Student.“
„Haha. Nicht mehr. Kannst du uns noch die Kamera vorbei bringen? Heute spielst du das erste mal nicht mehr..“
Klar kann ich. Mit einem weinenden Auge.
Danke an alle, die mich auf diesem Lebensabschnitt begleitet haben. Allen voran meinen MitmusikerInnen. Nicht nur für das Musik machen, sondern für jedes noch so sinnlose Gespräch, das wir führten, für das Vertrauen, das zu Beginn in mich gesetzt wurde, und für alles andere. Danke den Technikern. Ein besonderer Dank gilt unserem Manager Harald. Ohne ihn hätte es all diese Erlebnisse nicht geben können. Danke meiner Familie und meinen Freunden, die mich unterstützt haben.
Zum Schluss möchte ich noch unseren Fans danken. Dass ihr mir gezeigt habt, dass wir euch eine gute Zeit geboten haben. Dass es euch gefallen hat. Dass wir Sachen richtig gemacht haben.
Ich werde diese Zeit vermissen.
obwohl das nicht ich war…